Seit Jahren nimmt generell der Abend- und Nachtverkehr zu, sowohl im Nahverkehr als auch im Fernverkehr. Die Bevölkerung gewöhnt sich immer spätere Aktivitäten an. Darauf reagieren viele Einrichtungen wie Museen, Theater, Konzertveranstalter mit Spätvorstellungen, Nachtöffnungen etc. Und in den größeren Städten reagiert auch der öffentliche Verkehr mit neuen Nachtnetzen und Betriebszeiten, die teilweise bis zwei oder drei Uhr gehen bzw. an Wochenenden sogar teilweise noch länger. Außerdem wächst ein Teil der Pendelentfernungen erheblich, durch Tages-Fernpendler und multilokale Wochen-Fernpendler mit doppelter Haushaltsführung. Beide Gruppen nutzen die Nächte als Mobilitätszeit für ihr distanzaufwändiges Leben, vor allem vor und nach Wochenenden und Brückenfeiertagen. Diese flexible „Rund-um-die Uhr-Gesellschaft“ erfordert entsprechende Anpassungen der Verkehrsdienstleister. Die Bahn ignoriert aber abgesehen vom Spätverkehr ihrer S-Bahnen diesen Trend und dünnt im Spätverkehr ihre Angebote im Nahverkehr als auch im Fernverkehr stark aus. Dagegen weiten die Fernbusanbieter ihre Nachtverbindungen stark aus.
Eigentlich böte der sog. „Nachtsprung“ einen besonderen strategischen Vorteil für die Bahn. Er erweitert den Aktionsradius, spart die Hotelkosten am Quellort oder Zielort und ermöglicht, auch bei sehr großen Entfernungen schon früh morgens oder noch spät nachts das Ziel zu erreichen. Damit könnte gerade im Nachtverkehr die Bahn gut mit dem PKW, Flugzeug oder Fernbus konkurrieren. Denn dem nächtlichen Flugverkehr werden zu Recht enge Grenzen gesetzt, durch Nachflugverbote aus Lärmschutzgründen. Auch im Straßenverkehr gibt es lärmorientierte Verkehrsbeschränkungen, in Kurorten und Innenstädten teilweise sogar komplette Nachfahrverbote. Zudem ist nächtliches Autofahren besonders unfallträchtig. Erstens wegen der eingeschränkten Sichtbedingungen bei Dunkelheit. Zweitens durch die Gefahr der Übermüdung. Drittens wegen der erhöhten Gefahr von Wildunfällen. Und viertens wegen der Zunahme alkoholisierter Autofahrten in den Abend- und Nachtstunden.
All das spricht dafür, im Bahnangebot für attraktive Nachtnetze zu sorgen, und zwar nicht nur auf wenigen Korridoren, sondern im ganzen Netz wegen der polyzentrischen Raum- und Siedlungsstrukturen Deutschlands. Wegen dieser Raumstrukturen hat der Straßenbau ein dichtes Netz klassifizierter Straßen geschaffen, das alle Groß-, Mittel- und Kleinstädte und alle Regionen verbindet. Die Bahn dagegen amputierte zur gleichen Zeit ihre Netze um 35.000 km Schiene und hängte dadurch immer mehr Regionen und Städte vom Fernverkehr ab. Auch die Zahl der grenzüberschreitenden Bahnverbindungen wurde stark reduziert, trotz der fortschreitenden europäischen Einigung. Dafür wurden immer mehr Flughäfen und grenzüberschreitende Autobahnverbindungen ausgebaut. Logisch, dass dann immer mehr Verkehr von der Schiene auf die Straße und den Flugverkehr abgewandert ist. Das ist klima- und energiepolitisch eine Katastrophe.
Die klimapolitischen Hausaufgaben einer 55%igen CO2 Reduktion bis 2030 erfordern massive Einsparungen beim Straßenverkehr und Luftverkehr. Die sind nur möglich mit einer konkurrenzfähig ertüchtigten Bahn und entsprechend umgeschichteten Investitionsetats. Die diversen offenen und verdeckten Subventionen für den Autoverkehr und den Flugverkehr müssen abgeschafft werden. Die Bahnen in Europa brauchen eine Renaissance. Dafür muss die Monopolisierung der Bahninvestitionen auf wenige Großprojekte an den Magistralen der Transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetze beendet werden. Stattdessen braucht die DB eine Rückkehr zur Flächenbahn mit dichtem Netz. Im Fernverkehr müssen alle Ober- und Mittelzentren im Taktverkehr angebunden werden, auch in den Nachtnetzen. Dafür braucht vor allem der IR [InterRegio] eine Renaissance, als Basis des vertakteten Fernverkehrs und erweitert um ein entsprechendes Nachtzugangebot.
Gemeinsam können ICE/IC/EC-Night und IR-Night mit modernen Schlaf- und Liegewagen-Garnituren große Teile des deutschen und innereuropäischen Nachtverkehrs binden. Gegenüber der derzeit dominanten Großraumwagenbestuhlung haben sie im Sitzwagenbereich wieder mehr Abteile, in denen mit wenigen Handgriffen aus jeweils zwei gegenüberliegenden Sitzen oder Sitzreihen bequeme Liegen werden. Ergänzt werden sie um moderne Betten- und Liegewagen. Der Speisewagen-, Bistro- und Barservice dienen beiden Kundengruppen, denen in den Sitzwagen wie denen im Schlaf- und Liegewagenbereich. Man nutzt den „Nachtsprung“ optimal für stressfreies, komfortables, zuverlässiges und gut kalkulierbares Reisen mit gutem Service und vielen Verbindungen. Gegenüber dem Luftverkehr bietet man viel mehr Verbindungen und eine ernsthafte Geschwindigkeitskonkurrenz wegen des Wegfalls der typischen Zeitverluste beim Ein- und Auschecken und beim langwierigen Vor- und Nachtransport.
Für einen attraktiven Nachtverkehr braucht die Bahn sinnvolle Fahrzeug-, Service- und Betriebskonzepte. Der Fuhrpark braucht viele multifunktionale Einheiten mit einer guten Mischung aus Großraumwagen und Abteilwagen. In den Abteilwagen braucht man Sitze mit einer Liegeoption und einer guten Sicht-, Licht- und Lärmdämmung der Abteile, mehr und funktionssichere WC- und Waschkabinen sowie die Ausgabe von Decken und Kissen. Auch im Flugzeug wird bei Langstreckenflügen oft durch Ausgabe von Decken und Kissen sowie Verdunklung vom Tagbetrieb auf den Nachtbetrieb umgestellt. Im Fernverkehr ist Restaurantservice immer zwingend für das leibliche Wohl, die Geselligkeit und das Kommunikationsbedürfnis, vor allem beim Bahnreisen in Gruppen.
Für die echte Schlaf- und Liegewagenfunktion mit Bett braucht man je nach Aktionsradius zwei Optionen: einmal ebenfalls multifunktionale Einheiten, in denen die Tagbestuhlung leicht auf die Nachbestuhlung umgestellt werden kann. Und einmal spezielle Nachteinheiten, die an geeigneten Knoten an die Tag- IR/ICE/IC/EC angehängt werden können, damit daraus ein IRN/ICEN/ ICN/EC-N wird.
Zweiter Teil des Artikels von Prof. Heiner Monheim aus dem Heft LunaLiner – (zu Teil I, zu Teil III)
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