Die DB war mal das »Unternehmen Zukunft« – jetzt ist sie eher das Unternehmen Verunsicherung.
(Joachim Holstein, Betriebsrat bei der DB European RailService)
Joachim Holstein arbeitet seit knapp 20 Jahren bei der Bahn als Zugbegleiter, und zwar immer in Nacht- und Autoreisezügen. Anfangs hieß sein Arbeitgeber Mitropa, seit 2002 heißt er DB ERS, das steht für European RailService. Er ist dort Sprecher des Wirtschaftsausschusses und in der Hamburger Niederlassung stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Zur Situation der Nachtzüge und zu den laufenden Protestaktionen konnte ich ein ausführliches Interview mit ihm führen.
Warum werden zum Fahrplanwechsel 2014/15 so viele Verbindungen gestrichen?
Die offizielle Antwort der Konzernspitze lautet hier, dass die Fahrgastzahlen zurückgegangen seien und sich manche Verbindungen nicht mehr rechnen würden. Hinzu komme, dass die Fahrzeugflotte erneuert werden müsse und sich die dafür notwendigen Investitionen nicht lohnen würden.
Sind die Berechnungen der DB seriös? Ist der Nachtzug wirklich nicht rentabel?
Mir ist am 13. Oktober 2014 unter Androhung arbeitsrechtlicher Sanktionen untersagt worden, Fragen wie diese wahrheitsgemäß zu beantworten. Obwohl sich noch am Abend desselben Tages zwei Bundestagsabgeordnete bei Bahnchef Dr. Grube über diese Abmahnung beschwert haben, obwohl die DB just am selben Tag in der Süddeutschen Zeitung mit offiziellen Angaben zu Fahrgastzahlen und zur Wirtschaftlichkeit zitiert wurde, und obwohl man in anderen Medien bis hin zum britischen »Guardian« vom 12. September 2014 von der DB publizierte Detailzahlen zu einzelnen Zügen und Kursgruppen nachlesen konnte, soll es Betriebsräten sogar verboten sein, Bundestagsabgeordneten Auskunft über die echten Zahlen beim Staatskonzern DB zu geben, über dessen Verkehrsangebot sie gemäß Artikel 87e GG zu entscheiden haben.
Ich kann also nur die Empfehlung geben, sich mit solchen Fragen an die Pressestelle der DB zu wenden und unter anderem zu fragen, ob bei den von der DB publizierten Fahrgastzahlen der Nachtzüge auch die Reisenden in den Sitzwagen mitgezählt wurden, insbesondere in den sogenannten Pendlerwagen, die mit einer Intercity-Zugnummer auf Teilstrecken wie München-Stuttgart oder Amsterdam-Basel im Nachtzug mitlaufen. Spannend wäre auch die Antwort auf die Frage, wie die Konzernspitze die angeblich so schwache Auslastung von Nacht- und Autoreisezügen errechnet hat: bekanntlich kann man in Nachtzügen einen Aufpreis bezahlen, wenn man das Abteil für sich alleine haben will – rechnet die DB ein von einem Single komplett gebuchtes Schlafwagenabteil als eine Auslastung von 33% oder von 100%? Weiter: Hat man bei den vom DB-Konzern offiziell genannten Defiziten eigentlich berücksichtigt, wie viel von den Kosten der Nachtzüge in Wirklichkeit an anderer Stelle des DB-Konzerns als Einnahme in Form von Trassengebühr, Stationsgebühr usw. wieder auftaucht? Hat der Konzern vielleicht auch entschieden, die Leistungen, die der Nachtverkehr mit dem Mitführen der Pendlerwagen erbringt, buchhalterisch nicht mehr als Einnahme des Nachtverkehrs anzusetzen? Was steckt in den Overheadkosten drin, die dem Nachtverkehr angelastet werden? Es gibt noch viel mehr Fragen – und der öffentliche Eigentümer hat ein Recht auf Antworten.
Befürchten Sie für die Zukunft weitere Angebotskürzungen?
Ja. Was soll man sonst von einem Unternehmen erwarten, das nicht einmal davor zurückschreckt, einen selbst in der tiefsten Nebensaison mit durchschnittlich 310 Reisenden pro Nacht besetzten Zug aus dem laufenden Fahrplan zu nehmen? Die im Fahrplan veröffentlichen Fahrten des Nachtzuges von Kopenhagen nach Amsterdam, Basel und Prag im November und Dezember 2014 wurden Anfang August wegen einer »sich abzeichnenden geringen Nachfrage« gestrichen – obwohl die Buchungsfrist kaum begonnen hatte und die meisten Reisenden traditionell erst zwei bis sechs Wochen vorher buchen. Mit der obigen Reisendenzahl verrate ich übrigens kein Geschäftsgeheimnis, denn sie entstammt einer Antwort des dänischen Transportministeriums auf eine Anfrage der linksgrünen »Einheitsliste« im Parlament. Die Skandinavier waren und sind hellauf empört, dass die DB offenbar kein verlässlicher Anbieter von Linienverkehr mehr sein will, sondern sich am Prinzip Busausflug orientiert: »Fahrt findet erst bei einer Mindestteilnehmerzahl von X statt«.
Mit den vorhandenen Fahrzeugen kann man noch einige Jahre, teilweise Jahrzehnte weiterfahren, aber mangels Masse eben nur auf einem unzureichenden Nacht- und Autozugnetz. Das wäre ein Sterben auf Raten, denn wer nicht mehr mit dem Nachtzug von Paris nach München fahren kann, der fährt die nächste Etappe seines Europatrips von München nach Berlin oder Hamburg auch nicht mehr mit dem Nachtzug – und vermutlich auch nicht mit dem ICE, denn er nimmt dann schon ab Paris den Flieger oder den Bus. Das ist ein Aspekt, den die Entscheider bei der Bahn offenbar gerne übersehen: vertriebene Nachtzugkunden würden auch dem Tagverkehr als Kunden verlorengehen.
Das Problem ist auch, dass schon durch das Reden über eventuelle Angebotskürzungen Reisende davon abgehalten werden könnten, sich für die Bahn zu entscheiden. Die DB war mal das »Unternehmen Zukunft« – jetzt ist sie eher das Unternehmen Verunsicherung. Man fragt sich, ob das zum Plan gehört.
Was wäre stattdessen erforderlich?
Einen wichtigen Schritt hat die DB schon gemacht: sie hat die komplizierten Rangierknoten, an denen sich jede Nacht bis zu fünf Züge trafen und Kursgruppen austauschten, als Störungsquelle erkannt und schafft sie 2015 weitgehend ab. Das verbessert die Pünktlichkeit und bedeutet mehr Zuverlässigkeit für die Reisenden.
Dann brauchen wir ein Bekenntnis der Entscheider im Bundestag und im Bahnkonzern zu einem Verkehrsangebot, das dem Artikel 87e Grundgesetz entspricht. Der Bund ist nämlich nicht nur in der Pflicht, in Bauwerke zu investieren (wofür man in Stuttgart gerade Milliarden im Untergrund versenkt), sondern er ist auch verpflichtet, den »Verkehrsbedürfnissen« der Allgemeinheit bei den »Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz« Rechnung zu tragen. Und da offensichtlich in der Allgemeinheit ein ausreichendes Bedürfnis dafür besteht, nicht erst mit dem ersten Tageszug aus Berlin oder Hamburg kurz vor Mittag in München oder kurz nach dem Mittag in Paris anzukommen, nachdem man sich um zwei Uhr nachts zum Bahnhof gekämpft hat, sondern sich abends ins Bett legen zu können, um morgens um sieben in München oder um halb zehn in Paris anzukommen, darf der Nachtverkehr nicht aufs Abstellgleis geschoben werden. Die Konzernspitze weiß das selbst sehr gut, denn die DB wirbt mit den Slogans »Ausgeschlafene reisen nachts« und »Paris ist nicht zum Schlafen da« – das gilt auch nach dem 12. Dezember 2014!
Das heißt: Der Bundestag hat dafür zu sorgen, dass die DB die notwendigen Wagen kaufen kann. Sie braucht mehr Schlaf- und Liegewagen, sie braucht bequeme Sitzwagen für die Nacht, und sie braucht auch Gastronomie auf der Schiene. Wir testen seit anderthalb Jahren zwei Prototypen eines Liegewagens mit Bistro-Ecke: der kommt bei den Fahrgästen so gut an, dass man davon in jedem Nachtzug mindestens einen haben sollte. Und dann braucht die Bahn für ihre Autozüge auch neue Autotransportwagen. Werden nicht gerade bei Opel in Bochum welche frei?
Am 14. Januar 2015 wird es im Verkehrsausschuss des Bundestages eine Anhörung zum Antrag der Linkspartei zur Weiterentwicklung des Nachtverkehrs geben, der von den Bündnisgrünen unterstützt wird. Wir sind gespannt, wie die Koalitionsabgeordneten sich dazu verhalten, denn unter ihnen gibt es Bahngewerkschafter und auch das eine oder andere Aufsichtsratsmitglied der DB.
Die Beschäftigten der European Railservice haben ja schon einige Protestaktionen organisiert. Wird es weitere Aktionen geben?
Ja. Da Herr Grube und die Konzernsicherheit sicher mitlesen, möchte ich hier noch nicht allzuviel verraten, nur: es werden auch Bundestagsabgeordnete dabei sein. Und es wird international. Den 11. Dezember haben sich nicht nur die ARD und diverse französische Sender im Kalender notiert …
Vielen Dank und weiter viel Erfolg!
Schreibe einen Kommentar